Nachschau auf Stolperstein-Verlegung in München

Am Samstag, den 14. Oktober wurden in München an mehreren Orten Stolpersteine verlegt. Claudia Stamm, MdL begleitete die Verlegung eines Stolpersteins an der Baumstraße 4 im Münchner Glockenbachviertel.


Die Stolpersteine erinnern an Menschen, die aufgrund ihres politischen Widerstandes, ihres jüdischen Glaubens oder ihrer Homosexualität von den Nazis entrechtet, verfolgt und ermordet wurden. Gunter Demnig hat die Gedenksteine auf privatem Grund vor den ehemaligen Wohnhäusern der Opfer verlegt.

Claudia Stamm, MdL begleitete die Verlegung eines Stolpersteins an der Baumstraße 4 im Münchner Glockenbachviertel. Der Gedenkstein wurde verlegt für Georg Fischler, der ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel verschleppt, sein restliches Leben in mehreren Konzentrationslagern verbringen musste und schließlich am 17. März 1943 im Konzentrationslager Stutthof ermordet wurde.

Rede von Claudia Stamm anlässlich der Stolperstein-Verlegung von Georg Fischler

„Totgeschlagen-totgeschwiegen“ ist auf einem Gedenkstein in Dachau eingraviert, dem Rosa Winkel.

Mit diesem Spruch gedenkt man in Dachau und in anderen Gedenkstätten der homosexuellen Opfer im Nationalsozialismus. Es war ein sehr langer Weg vom ersten Rosa-Winkel-Gedenkstein in einem ehemaligen Konzentrationslager bis hin zum ersten Mahnmal für homosexuelle Opfer in München. Erst vor vier Monaten wurde es hier eingeweiht. Dort, wo früher der „Schwarzfischer“ war, Ecke Dultstraße / Oberanger. Dort, wo sich die Schwulen in München trafen, nahm die Sittenpolizei bei einer Großrazzia vor 83 Jahren alle Gäste fest und brachte viele von ihnen ins Konzentrationslager.

Solche Orte der Erinnerung und Mahnung wider das Vergessen sind unendlich wichtig, gerade in diesen Zeiten, wo wieder extrem Rechte im Reichstag eingezogen sind – als gewählte Mitglieder des Deutschen Bundestags. Erinnerungsorte sind wichtig. Genauso wichtig ist es, den Opfern – da, wo es gewünscht ist, in Anführungszeichen ein Gesicht zu geben. Denn die Täter nahmen ihnen alles, was sie hatten bis hin zu ihrer Identität – die Opfer des Nationalsozialismus waren nichts anderes als eine Nummer, eine Nummer unter Millionen.

Es ist an der Zeit, den Opfern ihren Namen zurück zu geben, ihre Geschichte zu erzählen! Ein Stolperstein, ein guter Weg dorthin! Ohne Stolpersteine würden Menschen wie Georg Fischler weiter anonym und vergessen bleiben.

Ich fühle mich sehr geehrt, dass ich bei der Verlegung der ersten Stolpersteine für die Opfergruppe der Homosexuellen an Georg Fischler erinnern darf und ihm so seinen Namen und einen Teil seiner Geschichte zurückgeben kann. Er wurde nur 34 Jahre alt. Das, was wir über ihn wissen, ist Täter-Wissen – also das, was die Verfolger über ihn in den Akten festgehalten haben.

Georg Fischler wurde am 12. August 1908 als Sohn von Anna und Georg Fischler in München geboren. Und dort ist er wohl auch aufgewachsen. Seine letzte Wohnanschrift war hier in der Baumstraße 4. Die Wohnung seiner Eltern lag im Erdgeschoss, wie im Münchner Stadtadressbuch und auch auf der Schreibstubenkarte des Konzentrationslagers Dachau nachzulesen ist. Er war Kaufmann von Beruf und arbeitete vermutlich für die Vertretung eines Textil- und Wäscheunternehmens, das auf dem Namen seiner Mutter angemeldet war. Auf der Einwohnermeldekarte ist zudem vermerkt, dass er 1935 in Hamburg zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde und dort im Gefängnis einsaß.

Auf Veranlassung der Kripo München wurde Georg Fischler nach Verbüßung der Haftstrafe nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern am 20. Januar 1937 mit dem Vorwurf „Homosexuell, Paragraph 175“ in das Konzentrationslager Dachau gebracht.

Die Nazis nannten es Schutzhaft. Der Begriff geht ursprünglich auf das Strafrecht der Weimarer Republik zurück und meinte damals eine auf höchstens zwei Tage befristete Verwahrung. Damit wollte man Betroffene – in Anführungszeichen – vor sich selbst schützen, oder man wollte – so hieß es – eine bereits eingetretene oder unmittelbar bevorstehende Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abwehren. Die Nazis haben den Begriff der Schutzhaft pervertiert und dazu missbraucht, unliebsame Personen zeitlich unbegrenzt zu verschleppen. Die Begründung war immer die gleiche: „das Deutsche Reich musste angeblich geschützt werden“.

Auch im Fall von Georg Fischler wird dieses Unrecht sehr deutlich. Nach seiner Inhaftierung 1937 in Dachau bekam er eine willkürliche Lagerstrafe: er musste für acht Tage in den Gefängnisbunker, oder wie es offiziell hieß, in den Kommandantur-Arrest. Dort waren die Häftlinge völlig isoliert, bekamen noch weniger zu essen, konnten nach Belieben von den Aufpassern schikaniert werden und wussten nicht, ob sie jemals wieder herauskommen werden.

Im September 1939 wurde Georg Fischler in das berüchtigte Konzentrationslager Mauthausen überführt. Die letzte Station seines langen Leidenswegs war das Konzentrationslager Stutthof, das in der Nähe von Danzig im heutigen Polen liegt. Dort starb er am 17. März 1943 an den Folgen der schweren Haftbedingungen. Georg Fischler wurde nur 34 Jahre, davon verbrachte er acht Jahre in Gefängnissen und Konzentrationslagern.

Diese –wenigen – Fakten sagen uns nichts über die unsäglichen Qualen, die er wahrscheinlich erlitten hat. Es gibt heute nur noch wenige Zeitzeugen, die uns diesen Schrecken noch vor Augen führen. Die Zeitzeugen, die das sogenannte Dritte Reich überlebt haben, werden immer weniger. Deshalb brauchen wir neue, andere Zeugen, die an das Geschehene erinnern – Zeugen wie die Stolpersteine. Der Stolperstein von Georg Fischler wird künftig an das Unrecht erinnern, das an ihm und zehntausenden Homosexuellen verübt wurde. Der Stolperstein wird ihm ein Stück seiner Menschenwürde zurückgeben.

Unzählige Opfer, seien es Sinti und Roma, Kommunisten, andere politisch Verfolgte, Juden, Zeugen Jehovas: Es ist Zeit, die Opfer sichtbar zu machen – ein Stolperstein ist – so finde ich – eine würdige und angemessene Form. Es ist an der Zeit, dass dies auch in München auch auf öffentlichen Grund möglich ist – zu Lebzeiten der wenigen Überlebenden.

Ich möchte mich ganz eindringlich bei denjenigen bedanken, die eine Patenschaft für einen Stolperstein übernommen haben. Der schon verstorbene Martin Ripkens und sein Lebenspartner Hans Stempel waren unter den ersten, die eine Patenschaft für einen ermordeten homosexuellen Mann aus München übernommen haben. Ich bin sehr dankbar, dass Stefan Dickas dem Beispiel gefolgt ist, und diesen Stolperstein gespendet hat. Stefan Dickas hat nicht nur den Stein gespendet, sondern auch Unterlagen gesichtet und wichtige Daten zusammengetragen. Danke schön für alles!

Jetzt kann man künftig Georg Fischler gedenken. Einem Mann dessen einziges Vergehen es war Männer zu lieben.

Vielen Dank!


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